Mit einem bundesweiten "Thesenanschlag 2.0" an Dom- und Kirchentüren am letzten Sonntag will die Reformbewegung "Maria 2.0" auf Missstände in der katholischen Kirche hinweisen und ihre Forderungen besonders auch nach einer geschlechtergerechten Kirche untermauern.
Die Schweizer Benediktinerin Silja Walter (+2011) brachte diese Notwendigkeit schon vor vielen Jahren in einem Theaterstück poetisch zum Ausdruck. Sie erfindet ein Gespräch zwischen dem hl. Benedikt und seiner Schwester Scholastika über den Prolog (das Vorwort) zur Benediktus-Regel, zu dem die hl. Scholastika bemerkt, dass dieser Prolog heutzutage jungen Frauen, die in ein Kloster eintreten, schwer zu vermitteln ist.
Aus dem noch unveröffentlichten Nachlass von Silja Walter (Benediktinerin im Kloster Fahr, + 2011) Gespräch zwischen Benedikt und Scholastika im Meierhof von Monte Casino gegen Abend Scholastika: Ich muss dir gestehen, Bruder, meine jungen Frauen des Noviziats in deine Regel einzuführen, ist nicht leicht.
Benedikt: Liegt es an den jungen Frauen, oder an der Regel, dass du Schwierigkeiten hast im Noviziat?
Scholastika: Ich sage dir, es geht um etwas, das du offensichtlich nicht bedacht hast, als du deine Regel schriebst.
Benedikt: Worum geht es denn?
Scholastika: Um Mann und Frau, um ihr je eigenes Gottesbild.
Benedikt: Gott ist nicht Mann, nicht Frau. Die Regel kennt, das weißt du, keinen anderen Gott, als den Gott der Offenbarung.
Scholastika: Und den der Tradition der Väter. Und eben da, mein Bruder liegt, wie soll ich sagen, glüht für uns der Funke unterm Aschenhaufen. — Männer hörten Gottes Stimme, Ruf und Wort im Alten Bund, schrieben es in ihre Pergamente, wie es Männer hören, wie es Männer schreiben. Und die Frauen?
Männer hörten Jesu Stimme, Ruf und Wort im Evangelium schrieben es in ihre Pergamente wie es Männer hörten, wie es Männer schrieben. Und die Frauen?
Benedikt: Ich bin erstaunt, Scholastika, ich kenne dich nicht mehr. Soll ich dir eine zweite Regel, nur für Frauen, schreiben? Das wirst du nicht von mir verlangen.
Scholastika: Um alles in der Welt, geliebter Bruder, alles, nein, nur das nicht! (sie lächelt)
Benedikt: Dann denkst du wohl daran, die heilige Regel nach deinem und nach deiner jungen Frauen Maß und Facon zu verändern. Bei Gott, das wäre unheilvoll, das müsste ich dir streng verbieten!
Scholastika legt ihrem Bruder das neue Vorwort der Regula hin. Scholastika: Verzeih, mein Bruder, zürne nicht, wir haben hier bereits damit begonnen. Lies, bewahre Gleichmut. Und dann wollen wir darüber sprechen.
Benedikt erhebt sich. Es ist dunkel geworden. Er blickt durchs Fenster nach dem Himmel. Den Sternen nach geht es gegen Mitternacht. Benedikt: Dafür ist keine Zeit mehr, Schwester. Ich muss gehen. Lass mich dich segnen. Gott bewahre dir den wahren Glauben, erhalte dich in Demut und Gehorsam und lasse dich und deine jungen Frauen den Weg der Regel, wie er vorliegt, unbeirrbar bis ans Ende gehen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...
Scholastika kniet nicht nieder. Sagt nicht Amen. Fleht: Scholastika: Bleib da mein Bruder, heute Nacht. Es ist von größter Dringlichkeit, was wir uns mitzuteilen haben. Bleib da, mein Bruder, geh noch nicht nach Hause. Setz dich, nur eine Viertelstunde noch und höre: Wir haben Gottes Ruf in innigem Gebet aus dem Prolog der Regel, deiner Regula, erlauscht, den Ruf der Liebe, Benedikt, der Turteltaube in der Nacht. -
Benedikt: Verzeih mir, Schwester, es ist Zeit —
Scholastika: Und so beginnt der Text: Komm, meine Tochter, meine Freundin, meine Taube, hör mir zu.
Benedikt: Taube, Taube ... Hält die Nonne, hältst du dich und deine Frauen denn — sei mir nicht bös — euch eigenmächtige Geschöpfe, für eine solche sanft, scheue Kreatur? Was ihr zu tun versucht, hat nichts von Taubenart an sich.
Scholastika: Taube sein, ich sag dir offen, Benedikt, Taube sein im dunklen Eichenwald, bedarf des Mutes eines Falken. Du gehst?
Benedikt: Ich sehe keine Möglichkeit, die schönen Stunden unseres Zusammenseins bis in den Morgen zu verlängern. Knie nieder, meine Schwester, dass ich dich segne.
Scholastika betet. Ein Gewitter bricht los. Benedikt: Gott möge dir verzeihen, Schwester! Was hast du getan?
Scholastika: Ich habe dich gebeten, doch du wolltest nicht. Da bat ich meinen Herrn, und er erhörte mich. So geh doch jetzt, heim, in dein Kloster, Bruder, wenn du kannst!
Benedikt setzt sich. Benedikt: Lies, meine Schwester, lies mir den Prolog der Regel, wie du ihn hörst, und deine Töchter.
Scholastika: Es bleibt dein Wort, doch, ist es Gott, der spricht. Der Gott des Neuen Testamentes, wie ihn seine Kinder, seine Töchter, ja, wie Frauen ihn erfahren, der Gott der Väter, der Gemahl des Volkes Israel, wie er in Jesus nach Johannes als ein Mensch, als Freund, als Geliebter uns umwirbt und an sich zieht.
Benedikt: Ich höre zu.
Scholastika liest ihm ihre neue Fassung des Prologs vor. (Musik. Langsam löscht das Licht über der Szene. Wand wird vorgeschoben.) Sprecherin: Der Morgen kam. Sankt Benedikt verließ den Meierhof, die Laube des Zusammenseins mit seiner Schwester. In seinem Geist das Vorwort seiner Regel, das er auf Frauenart von ihr gehört, das mit ihm ging und das er wohl drei Tage lang erwog und in sich trug. Ein Liebeslied, wie es Jesaja sang im Namen Jahwes, Israels Gemahl, wie es im Hohen Lied gar innig angefangen, von Christus her zum Menschen hin gedeutet wird. O, Zärtlichkeit des großen Gottes, Frauen offenbart: Zuwendung, Heil, geschenkt, niemals als Lohn für Strengheit, für Aszese, Leistung je verdient — Sankt Benedikt erkannte Gottes Walten zeichenhaft in diesem nächtlichen Gespräch mit ihr, Scholastika — nur, Taube, Taube, nein, das war sie nicht, kühn, wie ein Falke eher — aber wie?
Da schimmert ja ein Flügelpaar, blitzt auf, wie Schnee — steigt in die Sonnenscheibe überm Ozean — O, Seligkeit — das ist die Seele seiner Schwester! Scholastika ist heimgegangen! Und er, ihr Bruder darf von seiner Zelle aus im Sonnenlicht des Geistes ihren Heimgang schauen — in der Gestalt der Taube aus dem Hohelied —!
Gott hat vor seinen Augen unzweifelhaft durch sie besiegelt, was sie und ihre Töchter im Prolog der Sancta Regula erkannten und erhorchten — den Ruf an seine auserwählten Kinder:
„Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, meine Taube und komm! Der Winter ist vorüber!“
(Gefunden in: Martin Werlen, „Heute im Blick. Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht.“ Freiburg 2015, S. 145 - 149)